In seinem Buch präsentiert André Morys seinen “Growth Canvas”. Dabei geht es ihm nicht um die konkreten Prozesse, um erfolgreiche Conversion Optimierungen durchführen zu können, sondern vielmehr um die Strukturen, die in einem Unternehmen geschaffen werden müssen, damit kontinuierliche Optimierungen – wie sie beispielsweise von Amazon her bekannt sind – möglich werden.

Der Autor

André Morys

André Morys gehört zu den einflussreichsten Experten im Bereich Conversion Optimierung und eCommerce. Er bloggt regelmässig auf www.konversionskraft.de, ist Vorstand der Web Arts AG und Organisator sowie Veranstalter des growthmarketingSUMMIT, der jährlichen Fachkonferenz für Conversion Optimierer und Online Marketer.

Qualitative und quantitative Methoden müssen sich ergänzen

Morys weist explizit darauf hin, dass die Diskussion über verschiedene Disziplinen wie Growth Hacking, Conversion Optimierung, Conversion Centered Design usw. nicht zielführend sind. Denn trotz unterschiedlicher Philosophien verfügen sie über relevante Gemeinsamkeiten, die für erfolgreiche Optimierung wichtig sind. Die wichtigsten Punkte für Morys sind dabei das Zusammenspiel von qualitativer und quantitativer Methoden, eine Kultur des Experimentierens sowie interdisziplinäre Teams.

Struktur und Gliederung des Buches

Das Buch ist gemäss des Inhaltsverzeichnisses in 9 Kapitel gegliedert, die die Idee des “Growth Canvas” erläutern. Der “Growth Canvas” ist ein Modell, das zum Ziel hat, Optimierungsideen qualitativ zu entwickeln, zu priorisieren und quantitativ zu validieren. Der Kern liegt darin, dass die Validierung zwar quantitativ erfolgt, dass das Kundenverhalten zunächst aber qualitativ untersucht werden muss, um Optimierungshypothesen zu entwickeln.

Über die absolute Notwendigkeit der Kundenzentrierung

In Kapitel 2 dreht sich alles um die absolute Notwendigkeit der Kundenzentrierung für das Unternehmenswachstum. Morys beginnt mit der Erläuterung des eCommerce Paradoxon, das auf dem Umstand basiert, dass aufgrund einer vereinfachten Realität der User einer Website vergessen geht. Dabei ist es doch der User – also der potentielle Kunde – der eine Website betrachtet und der zum Klicken und Handeln animiert werden muss. Beim Suchen nach Optimierungsmöglichkeiten geht es immer um den Nutzer: Barrieren gilt es zu reduzieren und die Motivation zu erhöhen. Denn nur wenn Kundenbedürfnisse und Unternehmensziele im Einklang sind, können Unternehmen nachhaltig und profitabel Wachsen.

Personas, Customer Journey & Behavior Patterns

Nachdem in Kapitel 2 die Wichtigkeit der Kundenzentrierung erläutert wurde, werden in Kapitel 3 Ansätze der qualitativer Konsumentenforschung vorgestellt, die es möglich machen sollen, den Kunden und seine Bedürfnisse zu verstehen. Es geht um Behavior Patterns, Personas und die Customer Journey. Wie kann man wissen, was Kunden suchen, wollen und brauchen? Morys empfiehlt eine Kombination von vier Methoden bzw. Bausteinen: Kundenbeobachtung kann hilfreich sein, ebenso die Entwicklung von Personas mit Fokus auf Werte, Ängste und Motive. Weiter die Berücksichtigung der Customer Journey, wobei der Schwerpunkt nicht auf der Nutzung der unterschiedliches Devices liegt, sondern vielmehr auf dem Reifegrad der Entscheidung. Zuletzt wird noch die Berücksichtigung von psychologischen Prinzipien (Behavior Patterns) erwähnt, die bei einer Entscheidungsfindung immer im Spiel sind – auch wenn der Kunde selbst diese nicht wahrnimmt – und entsprechend bei einer Befragung nie angeben wird.

Die bisherigen Kapitel haben aufgezeigt, wie mittels qualitativer Ansätze Optimierungshypothesen entwickelt werden können. In den Kapiteln 4 bis 6 geht es nur darum, diese Hypothesen anhand von Daten (jetzt kommt der quantitative Ansatz zum Zuge) zu priorisieren und anschliessend in Form von A/B-Tests zu validieren.

Priorisierung von Optimierungsideen

Da die Durchführung von A/B-Tests immer mit Kosten verbunden ist, ist es zwingend, die Hypothesen zu qualifizieren, bevor Aufwand in die Optimierung investiert wird (Kapitel 5). Morys beruft sich dabei auf das bekannte Pareto-Prinzip: Es geht darum, die 20% der Optimierungsideen herauszufiltern, die 80% der Wirksamkeit besitzen.

Für die Priorisierung gibt es bereits einige existierende Frameworks wie das PIE Framework von Wider-Funnel-Gründer Chris Goward oder das Framework der GrowthHackers.com Community. Beide versuchen, die Wirksamkeit einer Veränderung abzuschätzen und dabei subjektive Verzerrungen zu vermeiden.

Und einmal mehr weist Morys auf die Wichtigkeit der Kundenzentrierung hin: Das bedeutet, dass auch ein Uplift in einem A/B Test von einem veränderten Kundenverhalten herrührt, was Einfluss auf das Framework hat. Denn bei der notwendigen Priorisierung gilt es, die Wahrscheinlichkeit zu ermitteln mit der es zu einer Verhaltensveränderung kommt.

Eine Verhaltensänderung lässt sich nach dem Behavior Modell des Verhaltenspsychologen B.J. Fogg mit folgenden drei Variablen beschreiben:

B = m × a × t

Dabei ist B die Wahrscheinlichkeit, m die Motivation des Kunden, a die Fähigkeiten des Kunden, das Verhalten auszuüben und t der gewünschte Trigger für die Veränderung. Da die letzte Variable (der Trigger) nicht veränderbar ist, gibt es nur noch zwei Fragen zu beantworten:

1) Wie gross ist die Motivation eines Nutzers, sein Verhalten zu ändern?
2) Wie gross ist die Fähigkeit des Nutzers, sein Verhalten zu ändern?

Berücksichtigt man den Umstand, dass die Veränderung der Motivation eine grösseren Impact hat als die Entfernung von Hürden, so liegt es auf der Hand, dass die Motivation der Nutzer geändert werden sollte. Glücklich, wer mit Personas arbeitet: Denn sofern diese die Wertewelten, Wünsche und Ängste der angestrebten Kunden klären, sind die Personas ausgesprochen hilfreich.

Nachdem mittels Framework die vielversprechendsten Optimierungshypothesen gefunden worden sind, geht es darum, die Ideen anhand von A/B-Tests zu validieren (Kapitel 6). Morys nennt hier fünf Optimierungshebel, die für valide Erkenntnisse und damit einen grösseren ROI (Return of Investment) sorgen sollen.

Fünf Hebel für erfolgreiche A/B-Tests

Um die Qualität der Hypothese (Optimierungshebel 1) sicherzustellen, empfiehlt Morys den Einsatz eines Hypothesen-Templates in Form eines Lückentextes. Der Optimierungshebel 2 nimmt Bezug auf die Qualität des Testkonzeptes: Verfügen die Varianten über einen ausreichenden hohen Kontrast? Die eigentliche Umsetzung des A/B-Tests ist Teil des Optimierungshebels 3: Nur zu oft werden gute Hypothesen technisch schlecht umgesetzt, was zu verlängerten Ladezeiten, Flackern oder zu einem unschönen Verhalten auf gewissen Devices führt. Derartige Probleme verwässern die Testergebnisse. Der Optimierungshebel 4 nimmt Bezug auf die Qualität der Messung. Es geht darum, dass A/B-Tests häufig versuchen, sekundäre Ziele (sogenannte Micro-Conversions) zu verbessern. Doch gemäss Morys müssen primäre Ziele optimiert werden – sprich Metriken wie Kaufabschlüsse, Umsatz o.ä. Alles andere sind lediglich “Forschungstests” und diese liefern im besten Fall Erkenntnisse, aber kein Wachstum. Beim Optimierungshebel 5 geht es um die Qualität der statischen Auswertung. Denn der Zufall ist gemäss Morys ein ernstzunehmender Gegner im A/B-Testing. Nur zu oft werden Tests nicht lange genug durchgeführt – um nur eine mögliche Fehlerquelle zu nennen.

Das war der „Growth Canvas“ von André Morys

Damit sind alle Stufen des „Growth Canvas“ genannt worden. Sie haben es vielleicht bemerkt: Das Modell basiert auf den Säulen des “The Lean Startup” von Eric Ries: Build – Measure – Learn. Stellt sich die Frage, wie der „Growth Canvas“ und damit eine digitale Wachstumsstrategie in Organisation implementiert werden kann.

In den letzten Kapiteln 7, 8 und 9 liefert Morys dazu viele wertvolle Inputs und Ideen hinsichtlich der benötigten Stellen sowie dazu, wie das benötigte Mindset in einer Organisation implementiert werden kann. Da sich diese Ausführungen auf grössere Unternehmen beziehen, möchte ich in diesem Beitrag nicht näher darauf eingehen.

Die Aha-Momente & Beispiele

Die ersten Kapitel des Buches von André Morys sind gerade auch für kleinere Unternehmen und Startups interessant. Denn kleinere Unternehmen haben den Vorteil, dass es weniger Silos gibt und die Täler der Tränen weniger tief sind – um in Morys Sprache zu bleiben (Kapitel 1).

So ist denn der in meinen Augen wichtigste Punkte des Buches für kleinere und grössere Unternehmen gleichermassen relevant: Die gelebte Kundenzentrierung ist eine Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum!

So ticken die ganz Grossen

An verschiedenen Stellen im Buch werden Beispiele grosser Brands angeführt, um zu zeigen wie Fokussierung auf den Nutzer aussehen kann. So wird die Optimierung der Abmelde-Seite von Facebook genannt: Dort lautet die “neue” Überschrift: “Deine Freunde werden Dich vermissen!” Darunter werden die Portraits der wichtigsten Facebook Freunde angezeigt mit dem Text: “Deine 157 Freunde werde nicht mehr in der Lage sein, mit Dir zu kommunizieren.” Diese Veränderung soll gemäss Julie Zhuo (Vice President Product), rund 1 Mio Nutzer für über ein Jahr auf der Seite gehalten haben.

Weiter wird berichtet, dass Jeff Bezos früher zu wichtigen Meetings stets einen leeren Stuhl mitgebracht haben soll, der den Kunden repräsentierte. Amazon ist das beste Beispiel für die Abkehr des Relaunch-Denkens hin zur kontinuierlichen Optimierung. So nehmen die Nutzer in den meisten Fällen gar nicht wahr, wie sich die Website laufend verändert und weiterentwickelt. Doch Bezos liefert noch einen weiteren spannenden Input: Er weist darauf hin, dass der Grundpfeiler für eine digitale Wachstumsstrategie nicht mit der Frage beantwortet werden kann, was sich in den nächsten 10 Jahren ändert. Die Frage danach, was sich nicht ändern wird, ist seiner Meinung nach weitaus wertvoller, denn nachhaltige Unternehmensstrategien können nur für Dinge entwickelt werden, die sich nicht verändern.

“I very frequently get the question: ‚What’s going to change in the next 10 years?‘ And that is a very interesting question; it’s a very common one. I almost never get the question: ‚What’s not going to change in the next 10 years?‘ And I submit to you that that second question is actually the more important of the two — because you can build a business strategy around the things that are stable in time.“

Jeff Bezos https://www.goodreads.com/author/quotes/948321.Jeff_Bezos

Fazit: Für wen ist das Buch empfehlenswert?

Die Lektüre dieses Buches empfehle ich allen, die sich für ein System interessieren, das dauerhaft den Umsatz verbessern kann. Dabei geht es nicht um die Klärung der Frage, ob der Warenkorb-Button unten oder oben stehen muss. Es geht darum, welches Mindset nötig ist, damit die richtigen Optimierungsideen gefunden, evaluiert und getestet werden können. Das Buch richtet sich an Geschäftsführer, Conversion-Optimierer und eCommerce Manager gleichermassen.

Angaben zum Buch

Die digitale Wachstumsstrategie. 10 Prinzipien für ein profitable Online-Geschäft.
André Morys, WebArts AG, konversionsKRAFT

© 2018 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
ISBN: 978-3-7281-3836-1